“Es war als würde ich den Tampon gegen eine Wand drücken” Nora, 35
Das erste Mal ist mir mein Vaginismus aufgefallen, als ich versuchte mir einen Tampon einzuführen. Das war in der Schule beim Schwimmunterricht und an dem Tag hatte ich meine Periode. Die Lehrer grölten vor jeder Schwimmstunde, die Periode sei keine Ausrede, um sich vom Unterricht davon zu mogeln. Daher bin ich hektisch mit circa 12 Tampons aufs Klo und habe mir Mühe gegeben, einen der Tampons erfolgreich in meine Vagina einzuführen. Das ging aber nicht, es war als würde ich den Tampon gegen eine Wand zu drücken.
Oftmals habe ich den letzten Tampon mit so viel Druck in mich reingepresst und den Schmerz ausgehalten, da ich mir dachte, ich müsste mit den anderen Kindern schwimmen gehen. Über meinen Vaginismus habe ich nie mit jemanden geredet, also wusste niemand Bescheid, was mich belastete. Durch mein Schweigen ist mir das Thema mit der Zeit unangenehmer und beängstigender geworden.
Beim Sex hat sich mein Vaginismus angefühlt, als würde ich mich willentlich vergewaltigen lassen
Ich habe wenig Erinnerungen an meinen Vaginismus während meiner Jugend, ich weiß nur, dass ich mich nie zu anderen Jugendlichen zugehörig gefühlt habe. Ich bin an einem See aufgewachsen und habe diesen See über alles geliebt. Wegen meinem Vaginismus fing ich während meiner Periode an, den See zu meiden.
Mit der Zeit habe ich mich so sehr geschämt für meinen Körper, dass ich mich auch ohne meiner Periode nicht mehr in den See getraut habe. So fest war ich davon überzeugt, dass mein Körper nicht funktioniert wie er soll.
Später mit Sexualpartnern und durch die eigene Erforschung meiner Sexualität verschlimmerte sich meine Situation. Beim Sex hat sich mein Vaginismus angefühlt, als würde ich mich willentlich vergewaltigen lassen.
Zu unserem Sex gehörte, dass ich weinte und verkrampfte
Der Sex mit meinem letzten Partner war sehr schmerzhaft. Zu unserem Sex gehörte, dass ich weinte und verkrampfte und er mit riesigen Druck in mich einzudringen versuchte, worauf ich wieder anfing zu weinen. Bereits wenn mein Körper erregt war, zog sich meine Vagina krampfhaft zusammen. Durch diese Verspannung entstand auch keine Feuchtigkeit in meiner Vagina. Sie war so fest verkrampft, dass ich dachte, der Krampf würde sich nicht wieder lösen. Dann kam der Druck vom Penis, der mit jedem Stoß die schmerzhafte Wand meines Beckenbodens durchbrach, wonach er sich anfühlte wie ein Messer, welches in meine Vagina schnitt.
Nach dem Sex bemerkte ich mehrere Male feine Risse an meiner Vulva, da mit soviel Druck ein Penis in meine verspannte und trockene Vagina gepresst wurde. Ich habe ihm gesagt, ich hätte Schmerzen beim Einführen von Dingen und Geschlechtsverkehr aber er konnte meine Schmerzen nicht in dem eigentlichen Ausmaß nachvollziehen und es änderte sich nichts an unserem Sex.
Meine Hoffnung war, dass das Absetzen der Pille und des Verhütungsrings mein Vaginismus lindert
Ich habe viel recherchiert, inwiefern Verhütungsmittel meinen Vaginismus beeinflussen können. Durch das Ausprobieren bemerkte ich, dass die Pille die Feuchtigkeitsbildung in meiner Vagina hemmt und mir ständig Zwischenblutungen beschert. Meine Hoffnung war, dass das Absetzen der Pille und des Verhütungsrings mein Vaginismus lindert. Auch wenn ich etwas feuchter würde, hat sich durch das Absetzen nicht viel an den Schmerzen geändert .
Erst vor ungefähr zwei Jahren öffnete ich mich meinen Eltern gegenüber und sprach über meinen Vaginismus. Bei den Gesprächen stellte sich heraus, dass meine Eltern vor meiner Geburt keinen drängenden Kinderwunsch verspürten. Meine Theorie für die Ursache meines Vaginismus hat auch etwas mit dem fehlenden Kinderwunsch meiner Eltern zu tun. Vielleicht habe ich mich als Kind auch unerwünscht gefühlt, obwohl ich das auf keinen Fall aus meinen Erinnerungen so sagen könnte. Sie haben zu diesem Zeitpunkt sicher immer nur das in ihren Augen Beste für uns Kinder gemacht.
Vielleicht erinnere ich mich auch nicht an den Auslöser.
Die Angst vor einer eigenen Schwangerschaft baute sich früh in mir auf und diese Angst zog sich wie ein roter Faden durch die Entwicklung meiner Sexualität. Ich habe immer noch Angst davor, schwanger zu werden. Heute denke ich, es ist diese Angst, die mich zum Vaginismus führte. Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen, da der Auslöser für meinen Vaginismus alles Mögliche sein könnte. Vielleicht erinnere ich mich auch nicht an den Auslöser. Auch bei Gesprächen im engen Umfeld, ob ich allenfalls als Kind missbraucht wurde, deutete nichts auf einen Missbrauch hin. Zum Glück! Irgendwie verunsicherte es mich trotzdem, warum ich die Ursache für meinen Vaginismus nicht herausfinde und das erschwerte die Suche nach einer Behandlung.
“trink doch ein bisschen Rotwein” oder “mach dich einfach locker”
Beim Frauenarzt fing ich an meinen Vaginismus zu beschreiben, wurde dort jedoch nicht ernstgenommen. Ich erhielt von manchen sogar Ratschläge wie “trink doch ein bisschen Rotwein” oder “mach dich einfach locker”. Daher habe ich oft den Frauenarzt gewechselt.
In 2018 hatte ich die Einsicht, das ICH aktiv etwas tun muss, schließlich hatte es mein Körper nicht alleine geschafft, den Vaginismus loszuwerden.
Ich habe meinen gesamten Mut zusammen genommen und per E-Mail eine Sexualtherapeuthin kontaktiert. Aufgrund meiner Scham, die mich so lange begleitete und mich so oft zurückhielt, verbarg ich mich in der Email hinter einem falschen Namen.
Beim ersten Termin mit der Sexualtherapheutin gestand ich sofort meinen richtigen Namen und wollte im Erdboden versinken. Die Sexualtherapheutin bot mir an, mich mit einem anderen Namen anzusprechen, wenn es mir helfe. Ich fühlte mich schnell ernst genommen und erkannte durch die gemeinsamen Sprechstunden, dass ich nicht allein bin mit den Schmerzen. Jede Frau hatte schon einmal Schmerzen beim Sex, aus ganz verschiedenen Gründen. Das war von großer Bedeutung für mich, da ich mich bis zu dem Zeitpunkt mit meinem Vaginismus sehr alleine gefühlt habe. Die Therapeutin ermunterte mich, aktiv nach Ursachen sowie Behandlungsmöglichkeiten für meinen Vaginismus zu suchen.
Es fiel mir nicht leicht Freundinnen oder Familienmitgliedern von meinem Vaginismus zu erzählen
Mein Freund und ich trennten uns, weil wir einfach keine Zeit füreinander hatten. Und ich wusste ja innerlich, dass ich die Zeit für mich brauche! ‘Wenn ich jetzt nichts für mich tue, werde ich auch die kommenden zwanzig Jahre mit Schmerzen verbringen’ dachte ich in dem Moment. Mit der Trennung fing ich an zu reden und suchte Hilfsangebote. Es fiel mir nicht leicht Freundinnen oder Familienmitgliedern von meinem Vaginismus zu erzählen, daher suchte ich mir anfangs eine Freundin aus, der ich mir anvertraute. Ich dachte mir, wenn sie das Thema gut aufnimmt, gewinne ich den Mut, es der nächsten mir nahestehenden Person zu erzählen. Im Gespräch mit ihr schaute sie mich gelassen an und aus ihr sprudelten voller Neugier Fragen über Fragen. Sie war interessiert und super einfühlsam, genauso auch meine Mutter und alle anderen, mit denen ich über meinen Vaginismus sprach. Diese schönen Reaktionen beruhigten mich und waren entlastend. Rückblicken finde ich es fies, mein ‘Geständnis’ von ihren Reaktionen abhängig gemacht zu haben.
Meine Traumatherapie war reinigend und erkenntnisreich
Später erfuhr ich von einer Freundin, dass sie nach der Geburt ihrer Tochter zur Traumatherapie ging, da die Schwangerschaft und Geburt traumatisch waren. Die Option eine Traumatherapie zu machen gefiel mir sofort, weil ich dort einen Behandlung für all den Schmerz und die willentlichen Vergewaltigungen finden konnte. Meine Traumatherapie war reinigend und erkenntnisreich.
Da ich lernen musste, mich selber schmerzfrei anzufassen, bekam ich verschiedene Hausaufgaben
Ich ging auch zur Beckenboden Physiotherapie, da ich mir neben der psychischen auch eine physiologische Behandlung wünschte. Die Beckenboden Physiotherapeutin beschrieb in der ersten Besprechung meine Verspannung wie einen verhärteten Stein. Für die erste Sitzung haben wir uns vorgenommen, dass die Therapeutin ihren kleinen Finger versucht 1-2 cm in mich einzuführen. Dadurch könnte sie sehen, wie mein Körper reagiert und sich verspannt. Dass sie wirklich versuchen wird, ihren kleinen Finger in mich einzuführen, realisierte ich erst vor Ort. Schnell bauschte sich in mir die Angst auf; wie soll sie als fremde Person das schaffen, wenn ich mir selber nichts einführen kann und mein Ex-Freund es auch nicht konnte? Dann dachte ich darüber nach, dass diese Therapeutin sich mit Vaginismus auskennt, jeden Tag Frauen mit Vaginismus behandelt und mir wirklich nur helfen möchte. Mit den Gedanken verflog die Angst wieder. Im Laufe der Therpaie hat sie später auch zwei Finger eingeführt, oder in meiner Vagina rechts und links leichten Druck ausgeübt und mich gefragt, wo ich den Druck lokalisiere. Anfangs hab ich gar nichts gespürt, nur Schmerzen gehabt. Da ich lernen musste, mich selber schmerzfrei anzufassen, bekam ich verschiedene Hausaufgaben. Dazu gehörte, meine Vulva im Spiegel anzuschauen, oder mich leicht zu berühren und zu schauen was passiert, oder Finger/Dilatatoren einzuführen. Dilatatoren sind Penis-artige Stäbe aus Silikon, die es in verschieden Größen gibt und sich ähnlich wie ein Penis anfühlen. Man beginnt mit der kleinsten Größe, welche vergleichbar ist mit dem kleinen Finger und endet die Therapie mit einem Dilatator der einem Penis von der Größe her gleichkommt. Dieses Training mit Dilatatoren mache ich bis heute regelmäßig, damit ich die Kommunikation zwischen Kopf und Vagina nicht verlerne. Die Therapie zu machen und zu sehen welche riesigen Fortschritte ich mache, hat mir unheimlich viel Spaß gemacht und mich ermutigt.
Atemübungen waren auch ein sehr wichtiger Bestandteil der Therapie, da meine Atmung sich beim Penetration sonst auf ein überlebenswichtiges nach Luft schnappen beschränkte. Das bewusste Atmen hilft meinem Körper zu entspannen. Bei der Beckenbodentherapie muss natürlich eine Sympathie für die behandelnde Person bestehen, da die Therapie sehr intim ist. Wenn ich mich nicht wohlgefühlt hätte, wäre es mir sicherlich schwerer gefallen mich auf den Lernprozess einzulassen. Ich wollte mich von Anfang an nur von einer Frau behandeln lassen und habe es auch so gemacht.
Diese Kombination von Therapien hat mir sehr geholfen die Verbindung zwischen Körper und Geist wieder neu zu erlernen.
Als ich ihm von meiner Definition von Sex erzählte, hörte er mir gespannt zu
Nach meiner Therapie war ich sexuell sehr zurückhaltend und habe vor kurzem einen Mann kennengelernt. Ich habe mir vorgenommen, dass ich ihm ganz natürlich und ausführlich von der Geschichte meines Vaginismus und meiner Sexualität erzähle. Auch damit er ein Verständnis dafür entwickelt, wie eine Beziehung zu mir, als ehemals von Vaginismus betroffene Person sein könnte.
Ich habe ihm von meinem Vaginismus beim Rosé trinken so erzählt, wie von einer neuen Pasta-Sorte. Er hat auch so gelassen reagiert und war total interessiert. Das gab mir wieder das Gefühl, dass ich die letzten zwanzig Jahre hätte unbesorgt über meinen Vaginismus quasseln können und alle hätten schön reagiert. Als ich ihm von meiner Definition von Sex erzählte, hörte er mir gespannt zu und gab sich alle Mühe auf meine Wünsche einzugehen und berichtete von Praktiken, die mir eventuell gefallen könnten. Diese Offenheit und Zuvorkommenheit gab mir das Gefühl, dass er mir wirklich zuhört und auf mich eingeht.
Diese Definition ist eine recht offene, da sie alles umfasst, was ich mit einem Mensch in dem gelebten Moment teilen möchte, alles was mich erregt, reizt und gut fühlen lässt. Das kann ganz zarter und auch sehr wilder Sex sein. Wichtig ist die ehrliche Kommunikation und Verbindung zu sich und zum Partner.
Tatsächlich kam es bisher noch nicht zum penetrativen Sex, ich warte noch bis ich mich bereit fühle
Wir malten uns den Sex in den ersten Monaten unserer Beziehung als sensible und erforschende (körperliche) Nähe aus. Für penetrativen Sex ist sehr viel Sensibilität und Vorsicht wichtig. Wir haben uns wirklich Zeit gelassen und nichts überstürzt.
Tatsächlich kam es bisher noch nicht zum penetrativen Sex, ich warte noch bis ich mich bereit fühle. Bereit bin ich, wenn unsere Emotionale Verbindung stark genug ist und ich meine Kommunikation mit meinem eigenen Körper gut aufrecht erhalte. Ich möchte mir keinen Druck machen und mich an meinen Partner körperlich sowie emotional noch mehr gewöhnen.
Ich werde über meinem Kanal “the vag stories” manchmal von Frauen angeschrieben, die in Direktnachrichten mir ihre Erfahrungen und Erlebnisse anvertrauen. Das ist in meinen Augen der erste Heilungsschritt, nach außen einen Zuhörer zu erreichen. Die eigene Geschichte zu erzählen ist heilsam. Ich empfand es als besonders hilfreich, zuerst mit nahestehenden Personen zu reden, da Ärzte nicht immer empathisch sind, jedenfalls in meinem Fall nicht waren.