“Und dann kam er und ich fühlte mich gleichberechtigt und gleichwertig” Katja, 46

Kurz vor Beginn meiner Studienzeit habe ich mich von meinem ersten Freund getrennt und war froh, dass ich ein ganz neues Kapitel in jeglicher Hinsicht im Studium beginnen konnte. Ich war weit weg von zuhause, niemand kannte mich. Ich verliebte mich relativ rasch in einen super süßen Typen - komplett anderer Typ als mein vorheriger Freund. Ersterer war groß, blond, laut, sehr dominant, konservativ, ehrgeizig, teils besserwisserisch und ist mit einem ganz klassischen Männer-Frauen-Bild aufgewachsen. Zweiterer war dunkelhaarig, fast zierlich gebaut, sanft, ruhig, fast schüchtern, sehr humorvoll und ich spürte sofort, dass er mich als Frau komplett auf Augenhöhe und als gleichberechtigt und gleichwertig angesehen hat. Wir kamen zusammen und haben fast jede Minute miteinander verbracht. Auch wenn er eine eigene Studentenbude hatte, so wohnte er quasi bei mir. Er war so anders als alle Menschen, die ich bisher kennengelernt hatte: er scherte sich nicht um Konventionen, tat das was ihm gut tut und war komplett offen und authentisch. Es gab nie ein Versteckspiel oder ein Vortäuschen. Er war so wie er wirklich ist und ich konnte das auch sein. Und er mochte und akzeptierte mich genauso wie ich war. Das war neu für mich - sowas habe ich zu meiner Schulzeit im biederen Schwaben nie erlebt. 

Sex war keine Performance
Auch der Sex zwischen uns war anders - der Geschlechtsverkehr spielte eine total untergeordnete Rolle, wir genossen es unsere Körper zu erkunden. Streichelten und küssten uns viel. Und flüsterten uns sexy Dinge ins Ohr. Der Orgasmus spielte keine große Rolle. Ich fühlte mich nie unter Druck gesetzt. Sex war keine Performance, sondern ein wunderschönes Gefühl der Intimität und Nähe. Und genauso respekt- und liebevoll war unser gesamtes Miteinander und unsere monogame Beziehung. Von der zumindest ich anfänglich dachte, dass sie ein Leben lang halten könnte. 

Es war die komplett rationale Entscheidung, einen Schlussstrich zu ziehen
Doch nach einem Jahr trennten wir uns. Nicht weil wir uns nicht mehr liebten, sondern weil wir beide für ein Jahr im Ausland studieren gingen und zwar an ganzunterschiedlichen Stellen dieser Erde. Es war die komplett rationale Entscheidung, einen Schlussstrich zu ziehen und unser Auslandsjahr zu genießen. Denn wir waren uns zu diesem Zeitpunkt sicher, dass wir auf Dauer nicht zusammengepasst hätten. Zu unterschiedlich war unsere Vorstellung des zukünftigen Lebens: ich genieße es schick auszugehen, in klassische Konzerte, Oper und Theater, oder auch in exquisite Restaurants - er legte darauf überhaupt keinen Wert und ließ sich auch nicht mir zuliebe darauf ein. Er war in der ehemaligen DDR aufgewachsen und war ganz anders sozialisiert als ich.  Ihm war Sicherheit wichtiger als Freiheit und das Prinzip der Gleichmacherei näher als das Leistungsprinzip. Wir hatten ewig Diskussionen darüber. Ich meinte, was bringt mir ein “sicheres” Leben mit Job und ohne Kriminalität, wenn ich selbst unfrei bin. Er hat damals die Linke gewählt, ich die FDP. (Witzigerweise arbeitet er heute für eines der größten Beratungsunternehmen und übernachtet in 5-Sterne Hotels…aber so spielt das Leben manchmal ;-).

Aus inniger Liebe wurde eine wunderschöne vertrauensvolle Freundschaft
Es hat uns wahnsinnig geschmerzt und die erste Zeit im Ausland war nicht leicht. Wir hatten erst einmal den Kontakt komplett abgebrochen gehabt, um es überhaupt zu überstehen. 

Nach dem Auslandsjahr kamen wir nicht mehr als Paar zusammen. Aber aus inniger Liebe wurde eine wunderschöne vertrauensvolle Freundschaft. Ich würde es sogar als platonische Liebe bezeichnen. Er verbrachte wieder die meiste Zeit bei mir in meiner Wohnung, auch wenn er eine eigene Studentenbude hatte. Manchmal blieb er auch über Nacht. Aber wir hatten nie wieder Sex miteinander. Wir waren einfach nur sehr sehr gute Freunde. 

Das musste dann auch mein damaliger Freund und jetziger Mann ertragen. Denn wenn ich mal beruflich in der selben Stadt wie mein Ex-Freund war, dann übernachtete ich bei ihm. Natürlich in einem Bett. Und nein, es war wirklich nie mehr Sex im Spiel, auch kein Küssen oder Streicheln. Wir waren uns einfach gefühlsmäßig nahe. Ich fühlte mich absolut geborgen und verstanden wie von einem Bruder. 

Gleichberechtigt in allen Lebensbelangen und mit Offenheit, Verständnis und Neugierde
Mein damaliger Freund, jetzt Mann, war sehr eifersüchtig. Er verstand nicht wieso mir die Nähe zu meinem Ex so wichtig war, wieso ich diese Treffen und Übernachtungen ihm zuliebe nicht sein lassen konnte. Aber er hat es akzeptiert; er kannte meinen Ex gut und vertraute letztendlich wohl uns beiden. Für mich waren diese Treffen und Übernachtungen das Natürlichste der Welt, denn so war es ja zwischen meinem Ex und mir für über ein Jahr gewesen bis ich schließlich mit meinem Mann zusammen kam. Und in dieser Zeit hatte ich ja auch Sex mit anderen Männern - in einer kürzeren Beziehung sowie ONS und Affären. 

Mich hat diese Beziehung stark geprägt und Maßstäbe dafür gesetzt wie ich von Männern behandelt werden möchte, nämlich auf Augenhöhe, gleichberechtigt in allen Lebensbelangen und mit Offenheit, Verständnis und Neugierde. 

Die Beziehung mit meiner platonische Liebe ist mit der Zeit verblasst, auch wenn uns immer noch Freundschaft verbindet. Die Nähe, Geborgenheit, Wärme und das unglaublich tiefe Vertrauen spüre ich nun mit meinem Mann.

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“Ich mache nur, was ich will” Nadia, 41

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“Durch unsere Verbundenheit war er wie ein zuhause für mich” Leonie, 33