“Wir übten Trockensex” Ola, 32
Ein Großteil der Leute meines Freundeskreises hatte so mit 9 oder 10 Jahren die ersten Küsse ausgetauscht und ihr erstes Mal Sex mit 14 oder 15 Jahren erlebt. Ich hatte mit 10 Jahren meine ersten sexuellen Erfahrungen mit meiner Cousine, da wir ein sehr gutes und vertrauensvolles Verhältnis hatten. Wir waren neugierig und wollten wissen, wie sich Berührungen anfühlen. Geküsst haben wir aber nie, sondern nur “so getan” als ob. Wir übten “Trockensex”. Eng umschlungen rieben wir unsere Körper, meist auf einer Decke im Garten oder ungestört in ihrem Zimmer, aneinander. Wir befummelten uns immer bekleidet, streichelten uns am Po, den Brüsten und im Intimbereich. Das fühlte sich total schön an. Trotzdem hatten wir bei den 3 bis 5 Erlebnissen immer ein sehr schlechtes Gewissen. Wir dachten “sowas” als Cousinen und als Mädchen nicht tun zu dürfen. Es blieb daher ein Geheimnis zwischen uns.
Ich fühlte mich als Spätzünderin
Mit ungefähr 13 Jahren hatte ich für 2 Monate dann meinen “ersten festen Freund“. Mit ihm auch meinen ersten Kuss - eine absolute Vollkatastrophe! Wir versteckten uns hinter meinem Elternhaus, weil uns niemand beobachten oder erwischen sollte. Vor allem aus Sorge, wie ich dabei aussehen könnte. Damals fühlte ich mich in meinem pubertierenden Körper sehr unwohl. Bei unserem ersten Kuss war ich unbeholfen und dachte, ich müsse sofort meine Zunge benutzen und ihm diese in den Mund stecken. Da er mich aber ohne Zunge küsste und seine Lippen recht verschlossen waren, gab es für meine Zunge einfach keinen "Platz". Das war mir im Nachgang so unfassbar peinlich, dass es bei genau diesem einen Kuss blieb. So zog es sich durch meine Teeniezeit, dass ich immer diejenige war, die nichts am Laufen hatte und viel später Erfahrungen sammelte als alle anderen. Ich fühlte mich als Spätzünderin, was mich als Jugendliche enorm unter Druck setzte. Bei der Vorstellung jemanden zu küssen, fragte ich mich oft, ob ich das überhaupt kann.
Küssen zusammen mit Freundinnen üben
In Gesprächen mit meinen vier engsten Freundinnen entschieden wir uns, das Küssen zusammen zu üben. Ich erinnere mich, wie viel schöner sich die Küsse zu meiner vorherigen Erfahrung anfühlten. Viel behutsamer und langsamer. Diese Momente zeigten mir, wie gerne ich küsste und mehr davon wollte. Das Vertrauen zu meinen Freundinnen sorgte für Entspannung und einem wohligen Gefühl, welches mir das Darauf-Einlassen leicht machte. Es kamen keine romantischen oder erotischen Gefühle dabei auf und ich wurde langsam sicherer. Die Vorstellung mit einem fremden Typen oder auch mit einem potentiellen Freund zu knutschen, war eher mit Unwohlsein und Unsicherheit verbunden, von der Vorstellung Sex mit jemandem zu haben ganz zu schweigen.
Ich sah oder fasste mich einfach nicht gerne an
Die damalige Unsicherheit erklärt sich mir durch die Unkenntnis und Ablehnung meines heranwachsenden Körpers. Geprägt war ich da sicherlich durch meine Familie, in der Sex und alles was dazu gehört nie offen besprochen wurde. Masturbation gab es für mich nicht, denn ich sah oder fasste mich einfach nicht gerne an. Die Vorstellung, meinen Körper oder konkret meine Vulva zu berühren, erfüllte mich mit Scham. Ich empfand es als schmutzig und verboten und dadurch auch als eklig sich “da unten” anzufassen. Ich glaubte “sowas” gehört sich als junges Mädchen nicht. Neben den “geheimen Spielchen” mit meiner Cousine und den Küssen mit Freundinnen hielten sich die sexuellen Erfahrungen in meiner Jugend in Grenzen.
Ich war geprägt von Druck, Unsicherheit und Schamgefühl
Nach dem Abitur zog ich mit 18 Jahren in eine Millionenstadt. Das war für mich als Dorfkind total aufregend und neu. Ich war erwachsen und konnte machen, was ich wollte. Gleichzeitig stresste es mich noch mehr, wenige sexuelle Erfahrungen gemacht oder einen festen Partner gehabt zu haben. Mein erstes Mal hatte ich dann mit 19 Jahren. Für die damalige Zeit, Anfang der 2000er, war das in meinem Umfeld extrem spät. Heute empfinde ich das überhaupt nicht mehr so. Mein Weg dahin war aber leider geprägt von Druck, Unsicherheit und Schamgefühl. Es kam mir vor, als würde Sex und alles was dazu gehört, ständig thematisiert werden. Ich schämte mich, wenn ich mal wieder keine der Fragen beantworten konnte. Ich sah mich als Loser in der Runde. Oft habe ich mir Sachen ausgedacht, nur um nicht zugeben zu müssen, dass ich mit 19 Jahren noch keinen Sex hatte. Richtig wohl fühlte ich mich nur bei meinen engsten Freundinnen.
Ich fragte mich, ob ich überhaupt ein sexueller Mensch war
Auf der einen Seite wollte ich endlich mitreden und „das“ auch mal machen. Auf der anderen Seite wusste ich damals nicht mal, ob ich überhaupt ein Verlangen nach Sex hatte und wie sich das anfühlen muss, Lust darauf zu haben. Logisch, denn ich kannte Lustempfindungen ja auch nicht durch Masturbation oder andere befriedigende Berührungen meines Körpers. Ich fragte mich, ob ich überhaupt ein sexueller Mensch war. Küssen und Verliebtheitsgefühle empfand ich als schön, doch Sex war viel zu abstrakt für mich. Mir war also zum Einen gar nicht klar, über was da alle redeten und ob ich das auch möchte, zum Anderen wurde mir vermittelt, dass Sex dazugehört, wenn ich jemanden toll fand.
Ich war sehr still und hatte keinen Orgasmus
Mein erstes Mal hatte ich dann auf meinem ersten großen Festivalbesuch. Mit Freundinnen dort angekommen, fühlte es sich für mich wie die völlige Freiheit an.
Er war 20 Jahre alt, wir kamen ins Gespräch, besuchten dieselben Konzerte und hingen den Tag über miteinander ab. Er gefiel mir und schenkte mir Aufmerksamkeit. Nachts, nachdem auch der Alkohol meine Hemmungen abbaute und nach dem ersten Kuss, gingen wir zu seinem Zelt. Ich ahnte, auf was es hinausläuft und fühlte mich extrem unbeholfen, wusste nicht, was nun genau passierte oder was ich machen sollte.
Trotzdem stand die Entscheidung für mich fest, heute Sex zu haben. Ich war dankbar über die Dunkelheit im Zelt und den Alkohol in meinem Körper, den ich brauchte, um mich überhaupt nackt vor einer anderen Person zeigen zu können. Vom Knutschen, Petting bis zum penetrativen Sex verging nicht sehr viel Zeit. Er übernahm die Führung und ich ließ recht passiv alles irgendwie über mich ergehen. Ein bisschen nach dem Motto: ich ziehe das jetzt durch. Ich merkte, wie mich das Knutschen und Fummeln sehr erregten und feuchter werden ließen. Er schob kurzzeitig seine Finger in meine Vagina, um mich noch mehr zu stimulieren. Das war sehr angenehm und ich hätte gerne mehr davon haben wollen, sagte aber nichts als er aufhörte. Oralsex gab es nicht. Ich wusste ja noch gar nicht, was ich hätte tun können. Er zeigte auch keine Ambitionen, das bei mir machen zu wollen. Darüber war ich dankbar, denn schon vorab machte ich mir Gedanken, ob es dazu kommen und ob ich dann unangenehm riechen oder schmecken könnte. Gelockert war die Stimmung dennoch. Wir lachten zwischendurch, weil ich mich mal rittlings auf ihn setzen sollte und die Enge im Zelt eine witzige Herausforderung war. Während der Penetration empfand ich zum Glück keine Schmerzen. Er stöhnte sehr leise und kam dann recht schnell im Kondom zum Orgasmus. Ich war sehr still und hatte keinen Orgasmus. Es kam für mich nicht in Frage einen vorzutäuschen, weil ich dachte, ich müsse dabei laut stöhnen. Das wollte ich auf keinen Fall, um nicht noch Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Nach seinem Höhepunkt passierte nichts mehr. Kein Küssen, Kuscheln oder Streicheln. Darüber war ich enttäuscht, sagte aber auch nichts. Während des Anziehens fragte er noch, ob es mir gut geht und wir schliefen irgendwann nebeneinander liegend ein, ehe ich mich morgens zu meinem Zelt begab.
Ich fand es nicht sehr aufregend, eher langweilig
Danach war ich zwar erleichtert, fragte mich aber auch: „Ok, deshalb hab ich mir so viel Druck gemacht?!“ Ich fand es nicht sehr aufregend, eher langweilig, stellte aber auch recht schnell fest, dass mir das Knutschen und Fummeln viel besser gefielen als die Penetration. Da wir uns erst kennenlernten, war die Situation nicht so vertraut, um im Nachhinein über das Erlebte auszutauschen. Ich wusste gar nicht, wie ich damit nun umgehen sollte und erzählte sehr lange nicht mal meiner besten Freundin davon. Ich wusste immer noch nicht, was ich wollte, was mir gefallen könnte, was meine Erwartungen waren und wo meine Grenzen lagen. Damals habe ich all das noch gar nicht verbalisieren können. Gleichzeitig glaube ich, dass die Kommunikation vorher und im Anschluss hilfreich gewesen wäre, um entspannter mein erstes Mal erleben zu können.
Es wird von mir erwartet, dann auch Sex zu haben
Der erste Knoten war zwar geplatzt und ich etwas selbstsicherer beim Kennenlernen mit Männern geworden, aber meine Erfahrungen waren immer noch mit Unsicherheiten, Druck und Aufregung verbunden. Sie waren schön, aber nicht tiefgehend genug, um Selbstvertrauen zu entwickeln und Bedürfnisse und Grenzen klar zu kommunizieren. Wenn ich mit einem Mann, der mir gefiel, ins Gespräch kam, wir rumknutschten und die Frage im Raum stand miteinander nach Hause zu gehen, dachte ich automatisch, es wird von mir erwartet, dann auch Sex zu haben. Die Aussage „es gehört halt dazu“ wurde mir von allen Seiten vermittelt und ich nahm sie als ultimative Wahrheit an. Den Druck machte ich mir selbst. Gleichzeitig entstand dieser auch, weil mein Umfeld und die Gesellschaft mir kommunizierten, ich sei eine Spätzünderin, müsse das doch mit 19 Jahren schon alles erlebt haben und müsse doch wissen, was ich will. Als ich mit 23 Jahren dann meine erste feste Beziehung hatte, entwickelte ich mehr und mehr Selbstvertrauen und lernte, für meine Bedürfnisse einzustehen. Das aufgebaute Vertrauen half mir dabei sehr, mich besser kennenzulernen.
Ich wünschte, ich hätte mir als junge Frau nicht so viel Druck gemacht. Heute höre ich viel mehr auf mich selbst und achte darauf, was sich gut anfühlt.