"Wir haben im Alltag nach und nach die Zärtlichkeiten verloren" Lisa, 38
Ich bin bereits sehr lange mit meinem Partner zusammen und wir haben sexuell schon vieles ausprobiert. Früher war ich bezüglich meiner Lust auf Sex mit meinem Partner aktiv, mittlerweile bin ich eher reaktiv. Diese Wende kam nach der Geburt unserer Kinder. Mental und körperlich war ich nach der Geburt so ausgelastet, dass ich keinen Kopf mehr für Sex hatte. Mir war alles etwas zu viel und ich hatte nicht genügend Energie, sodass der Sex hinten runter gefallen ist. Ich habe den Sex auch gar nicht vermisst. Zumal gerade Lockdown war und mein Partner und ich uns so viel im Rahmen der täglichen Routine gesehen haben, dass keine Erotik, keine Lust auf Sex aufkam.
Da der Tag voll war mit Berührungen und Körperkontakt mit meinen Kinder
Wir haben im Alltag nach und nach die Zärtlichkeiten, die wir sonst miteinander ausgetauscht haben, verloren - sich liebevoll über den Rücken streichen, mal in den Arm nehmen, zwischendrin ein Kuss. Durch die fehlende Intimität hat auch unsere Kommunikation gelitten. Wir haben unsere Rollen zu Hause nicht gut abgesprochen. Obwohl wir beide im Home-Office waren, hatte ich das Gefühl vorwiegend verantwortlich für Haushalt und Kinderbetreuung zu sein. Dadurch haben sich bei mir unterschwellig kleine Vorwürfe und Abneigungen angesammelt. Das hat mich zunehmend frustriert und meine Lust erstickt, denn Sex bahnt sich ja im Verlauf des Tages an und nicht erst, wenn man zusammen im Bett liegt. Da der Tag voll war mit Berührungen und Körperkontakt mit meinen Kindern, hatte ich schließlich einfach keine Lust mehr auf Berührungen meines Partners.
Ich wusste einfach nicht, wie ich wieder zu meiner Lust wiederfinden konnte
Mein Partner und ich haben öfter und ganz offen darüber gesprochen, wie es um unsere Sexualität bestellt ist. Aber das hat lange nichts geändert. Ich wusste einfach nicht, wie ich wieder zu meiner Lust wiederfinden konnte. Erst als mein Partner bei einem dieser Gespräche sagte, dass er nicht weitermachen konnte, wurde mir klar, dass unsere Ehe gerade auf der Kippe stand. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits zwei Jahre so gut wie keinen Sex gehabt. Ich liebe meinen Partner und wollte um diese Beziehung kämpfen. Ich hatte große Schuldgefühle.
Ich fragte mich zum ersten Mal, was ich eigentlich sexuell möchte
Zunächst ging ich zum Gynäkologen, um mich körperlich durchchecken zu lassen, dabei kam aber nichts heraus. Daraufhin begann ich, Bücher zu lesen und mich mit meiner Sexualität auseinanderzusetzen. Ich fragte mich zum ersten Mal, was ich eigentlich sexuell möchte und was meine Bedürfnisse sind. Außerdem musste ich meinen Körper wiederentdecken, da sich durch die Geburt einiges geändert hatte.
Wir mussten neu definieren, was uns Sex bedeutet und wie wir ihn (er)leben möchten
Wir fingen an, über das, was ich las und erkundete zu sprechen und uns auszutauschen, was wir als Paar für Sex haben möchten. Vor der Geburt der Kinder hatten wir uns in diesem Umfang noch nie über unseren Sex ausgetauscht, es war nicht nötig gewesen. Wir trauerten um die mühelose Sexualität, die wir vor den Kindern hatten.
Wir konnten nicht einfach wieder in alte Sex-Routinen verfallen, sondern fingen an zu lernen, was jetzt schön ist. Es war ein längerer Prozess, eine Art Neuanfang, eine gemeinsame Sexualität zu finden. Wir mussten neu definieren, was uns Sex bedeutet und wie wir ihn (er)leben möchten. Ich hatte bei einer Umarmung mit meinem Partner immer den mentalen Druck, dass dies jetzt zu Sex führt oder führen sollte. Wenn ich darauf keine Lust hatte, entstand das Gefühl, nicht genug gegeben zu haben.
Deshalb wollte ich, dass wir Sex erstmal “vom Tisch” nehmen
Paradoxerweise entstand so durch Umarmungen noch mehr Abstand zwischen uns. Deshalb wollte ich, dass wir Sex erstmal “vom Tisch” nehmen, besser gesagt, den Geschlechtsverkehr. Das war für mich eine unglaubliche Erleichterung, da ich nicht das Gefühl hatte, seine Erwartungshaltung (nämlich Umarmung führt zu penetrativem Sex) nicht erfüllen zu können. Diese “Abmachung” führte in nur wenigen Wochen dazu, dass ich wieder eine Intimität zu meinem Partner aufbauen konnte. Das hatte mir so lange gefehlt, denn Berührung war assoziiert mit dem Austausch von Zärtlichkeiten zu meinen Kindern und ich musste erst lernen, dass es eine andere Art der Intimität zu meinem Partner gab, die mir gut tat. Wenn es über Knutschen und Umarmen hinausging, haben wir uns zum Beispiel nackt zusammen ins Bett gelegt und einfach nur den Körper des anderen gestreichelt und darüber gesprochen, was uns gefällt.
Ich wollte Veränderung, also war es wichtig, dass ich auch selbst aktiv werde
Um wieder einen Raum in meinem Kopf für Intimität zu haben, waren mehrere Dinge notwendig. Ich bin wesentlich entspannter am Vormittag, wenn die Kinder im Kindergarten sind. Dies habe ich meinem Partner gesagt, so dass er, wenn er Lust auf Sex hatte, es zu dieser Tageszeit probieren sollte, auf mich zuzukommen. Dann habe ich den Kopf frei genug, um überhaupt Lust aufzubauen. Ich habe mich selbst mehr mit Sex und Intimität beschäftigt. Ich wollte Veränderung, also war es wichtig, dass ich auch selbst aktiv werde. Also habe ich vormittags öfter erotische Geschichten gelesen oder gehört oder auch Pornos angeschaut. Ich habe angefangen, auch selbst Erotikstories zu schreiben. Dadurch, dass die Kinder aus dem Haus waren, konnten wir auch mal wieder lauter Sex haben, was auch befreiend und aufregend war.
Die Anschaffung unseres Saugroboter war ein Segen
Um den Kopf frei zu bekommen, war mir auch wichtig, dass gewisse Hausarbeiten erledigt waren. Wir haben besprochen, dass sich mein Mann um das Aufräumen der Küche nach dem Abendessen kümmert und den Müll runterbringt. Die Anschaffung unseres Saugroboter war ein Segen, da ich nie wieder saugen musste. So banal es sich anhört, sind es genau diese kleinen Dinge gewesen, die den Kopf blockierten und Lust auf Körperlichkeiten verhinderten.
Unser Intimleben hat mal bessere, mal schlechtere Phasen
Wir beide sind offen und neugierig und haben Spass daran, Neues auszuprobieren. Das hilft, neue Aspekte in unser Sexleben zu bringen. So haben wir auch Rollenspiele ausprobiert oder uns im Sexshop beraten lassen. Dabei geht es uns mehr um das gemeinsame Erleben und Lachen als um das beste Sextoy oder die geilste Sexstellung.
Das Allerwichtigste war jedoch, dass wir immer und immer wieder über unsere Gefühle sprechen, das, was uns gefällt und was wir uns wünschen. Nicht nur im Sexuellen, sondern in allen Aspekten des Lebens. Tatsächlich haben uns dabei die Kinder geholfen. Wir möchten Empathie und emotionale Intelligenz vermitteln und so bleibt uns nichts übrig, als zu versuchen, es vorzuleben.
Unser Intimleben hat mal bessere, mal schlechtere Phasen, aber dadurch, dass wir beide gelernt haben, über unsere Gefühle zu sprechen, sind wir uns wieder viel näher und möchten beide weiter an unserer Intimität arbeiten und sie weiterentwickeln.
Mehr zu Lisa, die nicht anonym bleiben wollte, auf Insta @pleasepinchmehard und ihrer Webseite.