“Masochistisch und devot bedingen einander nicht zwangsläufig - ich mag jedoch beides” MiYu, 33
Ich bin 33 Jahre, lebe in einer offenen Ehe und habe drei Kinder. Mit ungefähr 25 Jahren bin ich, tatsächlich inspiriert durch die Buchreihe “Fifty Shades of Grey“, auf BDSM gestoßen. Davor hatte ich schon Gedanken in diese Richtung, aber ich hatte noch keine Worte dafür. Meine frühsten Erinnerungen, die in Richtung BDSM gehen könnten, gehen zurück in die Grundschulzeit. Räuber und Gendarm spielen und sich absichtlich mit den Haaren losreißen, weil es sich gut anfühlt zum Beispiel. Begriffe wie “devot” und “Masochismus” habe ich erst durch Bücher kennengelernt. Ich war gerade wieder Single und lernte beim Grillen mit Freunden einen Mann kennen. Wir flirteten miteinander, wobei er mich irgendwann kratzte, er merkte, dass mich das erregte. Er sprach mich offen darauf an, ob BDSM etwas für mich sein könnte. Daraus ergab sich schließlich, dass er mich zu meinem ersten BDSM-Stammtisch mitnahm. Ab da fing ich an, sehr viel zum Thema zu lesen, mich in Foren anzumelden, mich auszutauschen und zu informieren. Als ich auf meinem Facebook-Profil einen Beitrag mit einem Bild postete, auf dem eine devote Frau auf Knien saß und zu ihrem Herrn aufschaute, kontaktierte mich eine Bekannte und wollte mich treffen.
Auch wenn ich sonst im Leben selbstbewusst und selbstbestimmt bin, war ich aufgeregt wie ein kleines Kind
Sie erzählte mir, dass sie mit ihrem Freund BDSM praktiziere und nahm mich noch am selben Tag mit zu sich nach Hause, um mich ihrem Freund vorzustellen. Ich hatte Respekt, da sie mir erzählt hatte, er hätte sich bei einer Domina selbst ausbilden lassen. Er hatte einige Zeit Geld damit verdient, Subs auszubilden. Auch wenn ich sonst im Leben selbstbewusst und selbstbestimmt bin, war ich aufgeregt wie ein kleines Kind. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon klar für mich herausgefunden, dass ich devot war mit einem Hang zum Masochismus. Einen so erfahrenen Herrn zu treffen, war für mich sehr aufregend. Er begrüßte mich mit einem Handschlag und sah mir tief in die Augen. Ich wäre am liebsten zu Boden gesunken, doch er hielt mich fest. Er schaute mich nur an, begrüßte mich und ich hatte das Gefühl, er wusste ab da alles über mich.
Ich habe dieses Safe Word tatsächlich nie gebraucht
Nach einem schönen Nachmittag einigten wir uns zu dritt darauf, dass ihr Freund mich zur Sub ausbilden würde. Dafür setzten wir auch einen Vertrag auf, der festhielt, was mir und ihm erlaubt war, was nicht und wie ich klar machen könnte, wenn ich etwas wirklich nicht wollte. Ich habe dieses Safe Word tatsächlich nie gebraucht, es war jedoch wichtig, dass es existierte. Seiner Freundin war es beispielsweise wichtig, dass mein ausbildender Dom bei unseren Sessions angezogen blieb und ich ihn nicht berühren durfte. Im Verlauf meiner etwa neunmonatigen Ausbildung brachen wir diese Absprache allerdings. So eine Bindung wie wir sie hatten, hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehabt. Er konnte mich lesen, ohne dass ich etwas sagte und wir verbrachten viel Zeit auch im Alltag miteinander. Manchmal sahen wir uns viermal am Tag. Je länger wir uns trafen, desto mehr empfand ich für ihn, weshalb wir die Ausbildung schließlich abbrachen.
So musste ich zum Beispiel jede Mahlzeit, bevor ich sie aß fotografieren und ihm zusenden.
In den neun Monaten lief die Ausbildung für mich 24/7, also 24 Stunden 7 Tage die Woche. Mein Leben war danach ausgerichtet, meinem Dom zu gefallen und seine Regeln zu befolgen. So musste ich zum Beispiel jede Mahlzeit, bevor ich sie aß fotografieren und ihm zusenden. Der Hintergrund dazu war, dass mein Kreislauf nicht sonderlich stabil war und er einen Kreislaufzusammenbruch während einer Session verhindern wollte. Ich durfte mich nur selbst befriedigen, wenn er es erlaubte. In der Öffentlichkeit lief ich außerdem immer einen Schritt versetzt hinter ihm, es sei denn, es war anders besprochen. Meine Kleider suchte ich nach seinen Regeln aus, aufreizend war zum Beispiel ihm vorbehalten. Er machte meinen Friseurtermin und bestimmte meine Frisur, gemachte Nägel waren Pflicht, wobei er die Kosten dafür auch übernahm. Mein Alltag war also ganz auf ihn ausgerichtet. Dafür begleitete er auch mich zu Terminen, wo er es sicherer fand. Zum Beispiel zu einem Casting als Bondage Modell. Es ging ihm darum, dass mir nichts passierte.
Während dieser Zeit umarmte er mich und war für mich da.
Es kam nur einmal dazu, dass ich einen sogenannten “Absturz” hatte und wir die Session beenden mussten. Er hatte mich mit einem Holzbrett auf den Po geschlagen und das war in dem Moment zu viel. Es war nicht wirklich der physische Schmerz, der mich so aus der Bahn warf, sondern das Wissen darüber, wie wütend er auf mich war. Wie sehr ich ihn enttäuscht hatte. Ich fühlte mich leer und zerrissen und war nicht mehr richtig ansprechbar. Ich brauchte etwa eine halbe Stunde, um mich wieder zu fangen. Während dieser Zeit umarmte er mich und war für mich da. Meiner Meinung nach zeichnet das einen guten Dom aus, wie er eine solche Situation händeln kann. Kann er die Dringlichkeit von Nähe erkennen, ist er in der Lage der Sub das zu geben, was ihr in diesem Moment wieder auf die Beine hilft.
Meine Mutter brauchte eine gewisse Zeit, es zu verarbeiten
Meine Freunde haben recht schnell mitbekommen, dass ich nun in der BDSM Szene unterwegs bin, da ich die Zeit der Ausbildung über ein breites, weißes Halsband tragen musste. Nur auf Arbeit, beim Schlafen und wenn ich meine Eltern besuchte, trug ich es nicht. Meinen Eltern habe ich es erst später gesagt. Meinen Freunden recht schnell, was auch durchaus Freundschaften (die im Nachhinein keine waren) zerbrechen ließ. Meine Mutter brauchte eine gewisse Zeit, es zu verarbeiten, schlussendlich akzeptiert sie es und ist sogar stolz, dass ich meinen eigenen Weg gehe.
Sub zu sein bedeutet nicht, dass man alles mitmacht.
Masochistisch (ich will Schmerz) und devot (ich möchte mich unterordnen) bedingen einander nicht zwangsläufig. Ich mag jedoch beides. Schmerz als Strafe, weil man etwas gemacht hat, was dem Herrn nicht gefiel. Wobei Schmerz als Strafe auch immer eine gewisse Lust auslöst. Was mich eigentlich bestraft, ist das Wissen, dass ich den Dom enttäuscht habe. Das ist schlimmer, als tatsächlich geschlagen zu werden. Der Schmerz macht es eher wieder gut, da ich weiß, dass es meinen Herrn glücklich macht. Das wiederum macht Lust auf beiden Seiten.
Sub zu sein bedeutet nicht, dass man alles mitmacht. Denn leider gibt es auch Menschen, die Subs ausnutzen. Mein Dom hat mir damals auch beigebracht, wie ich mich sicher in der Szene bewegen kann. So treffe ich eine Person am Anfang immer erst an einem öffentlichen Ort. Wenn es zu einem Treffen bei der Person Zuhause kommt, gebe ich beispielsweise meinem Mann und einer*m Freund*in Bescheid, wo ich bin, teile meinen Live-Standort und kann mich darauf verlassen, dass jemand vorbeikommt, um mich abzuholen, falls es benötigt wird.
Ohne BDSM wäre ich auf lange Sicht unglücklich
Mit meinem Mann praktiziere ich dagegen kein BDSM. Wir haben es ausprobiert, aber es hat für uns nicht funktioniert. Dennoch haben wir ein erfülltes Sexleben. BDSM praktiziere ich eben mit anderen. Für mich ist es kein Spiel, sondern ein Wechsel zwischen zwei Anteilen, die in mir sind und die ihre jeweils eigenen Bedürfnisse haben. In mir sind die Anteile ziemlich gleich verteilt, ohne BDSM wäre ich auf lange Sicht unglücklich, was es auch in meinem Familienalltag mit hineinbringt. Nur eine glückliche Frau kann eine gute Ehefrau und Mutter sein. Das gleiche gilt selbstverständlich für meinen Partner.