“Manchmal fühlt es sich an als wäre mein Körper der Feind” Sofia, 38
Ich bin wütend! Und vor allem bin ich saumüde. Müde, mir über meinen Körper Gedanken zu machen. Müde, mich zu schämen. Müde, Sachen aufzuschieben, bis ich abgenommen habe. Den Yogakurs, die Party, neu zu Daten. Als würde das Leben erst beginnen dürfen, wenn mein Körper fundamental anders ist. Das klingt pathetisch, ich weiß. Aber so lebe ich seit dem ich ca 13 Jahre alt bin. Das ist eine lange Zeit, verdammt.
Und ich hab’s einfach satt darüber nachzudenken. Es klingt ja auch so oberflächlich: “Ich will noch abnehmen”! Ich frage mich ob eine Person, die nicht darunter leidet, nicht auf diese Art der Norm zu entsprechen, das überhaupt nachvollziehen kann. Wie es ist, Parties, Ausflüge, LEBEN!, abzusagen, weil du dich “minderwertig” fühlst. Was das mit deinem Leben macht - subtil aber brutal. Mein Körper darf nicht so sein, wie er ist und somit wird das Leben in ihm zu einer Art Gefangenschaft, der ich nicht wirklich entfliehen kann. Und wenn, nur kurzzeitig. Ich mache viele schöne Sachen natürlich und ich bin ein glücklicher Mensch. Aber wirklich frei bin ich nicht. Und mir dämmert es, dass das anders sein sollte.
Ach, du wärst so schön, wenn du ein bisschen abnehmen würdest
Das Mantra meines Lebens war “Ach, Sofia, du wärst SO schön, wenn du ein bisschen abnehmen würdest!”. Das haben meine Tanten, Eltern, Geschwister - ungebeten, natürlich - im Kanon geträllert. Der Fernseher hat auch nicht geholfen. Ironischerweise schaue ich Fotos von früher an und finde mich überhaupt nicht zu dick. Ich finde mich oft total schön. Jetzt ist es mittlerweile anders. JoJo sei Dank. Ich denke, Menschen würden mich zwar auch heute auf der Strasse nicht unbegingt sofort als “dicke Person” bezeichnen, aber ich bin halt… was bin ich? Mollig? Wer weiß es? Vielleicht auch "schön, aber ein bissl dick?" Auf jeden Fall, sehe ich so aus, dass wenn ich mich nackt oder im Bikini am Strand zeigen würde, "mutig" wirken würde ;)
Manchmal fühlt es sich an, als würde mein Körper gar nicht mir gehören, weil er so stark von äußeren Normen abhängt. Ich meine, von der Normierung meines Körpers hängt es ab ob ich bei H&M entspannt Kleider kaufen kann, die mir passen, ob ich mich in Werbungen (als Schönheitsideal) wiederfinde und ob ich davon ausgehen darf, dass mich potentielle Partner, die ich attraktiv finde, mich grundsätzlich auch attraktiv finden könnten. Davon hängt es ab ob ich beim Sex im Körper sein kann oder ihn ausblenden muss. In diesen Momenten fühlt es sich an als wäre mein Körper ein Störfaktor. Ein allgegenwärtiger Feind. Er hält mich davon ab frei zu sein, weil an ihm so viel Scham gebunden ist, weil der (nicht-normierte) Körper einfach stört, auffällt, ein erlebtes Hindernis ist. Auch wenn es andere nicht wahrnehmen.
Wie sieht Freiheit in meinem Körper aus?
Ich frage mich, ob Menschen mit Übergewicht sich überhaupt mit ihrem Körperbild auseinandersetzen wollen. Wollen wir nicht alle lieber vergessen, verheimlichen, lächeln und so tun als wäre da nichts? Keine Speckrollen am Rücken, kein Verstecken in Kleidung, mit Kissen vor dem Bauch beim Sitzen - aber vor allem keine Scham? Selbstbewusst sein, egal wie ich aussehe. Drüber stehen? Nein. Wenn meine Tochter in der Schule gebullied werden würde, weil jemand ihren Körper non-stop passiv oder aktiv negativ kommentiert, dann würde ich ihr nicht raten “drüber zu stehen”. Ich würde zum Direktor gehen. Ich würde Schritte einleiten. Ein absolutes No-Go. Na klar.
Aber wie soll in der Zwischenzeit Freiheit für mich aussehen? In dieser Welt, in diesem, meinem Körper? Angenommen, ich nehme nie mehr ab? Bleibt mir nichts anderes übrig als meine angelernte Scham abzubauen um mich endlich frei in einer Welt zu fühlen, die mir durch subtile und weniger subtile Botschaften weiterhin das Gegenteil predigt? Ich möchte nicht rebellisch sein müssen. Nicht mutig am Strand. Ich bin müde vom Verstecken. Und ich sehne mich mehr als alles andere nach Freiheit!