“Es war also eher eine Kopfgeilheit als eine Körpergeilheit” Elina, 35

Ich weiß gar nicht, wann ich als erstes von einem Orgasmus gehört habe oder davon mehr erfahren habe. Ich weiß nur, dass ich davon von anderen Mädchen in meinem Alter gehört hatte. Einmal sagte eine Klassenkameradin zu uns: „Jede*r befriedigt sich doch selbst, das kann mir keine*r erzählen, dass er/sie das nicht macht!“ Damals habe ich mich aber tatsächlich nicht selbst befriedigt, und habe mich dann total blöd gefühlt, weil ich scheinbar nie auf die Idee gekommen bin. Irgendwie so, als bin ich jetzt außen vor und gehöre nicht dazu.

Dass Sex irgendwie schmutzig ist, hat sich von klein auf in mir verankert

Meinen ersten Orgasmus hatte ich mit 15 mit meinem ersten Freund. Es war in einer Jugendherberge, wir kannten uns so zwei Monate und waren in einem Raum mit anderen Jugendlichen – es war ein Firm-Wochenende der katholischen Kirche. 😉 

Apropos katholische Kirche: Tatsächlich spielte das glaube ich auch eine Rolle, warum ich mich nie selbstbefriedigt habe in dem Alter. Dieses Bild von der „heiligen und reinen Frau“ und dass Sex irgendwie schmutzig ist, hat sich von klein auf in mir verankert. Ich bin in einem kleinen katholischen Dorf aufgewachsen und dort fielen regelmäßig Worte, die man heute als „Slut-Shaming“ bezeichnen würde. Wenn ein Mädchen innerhalb weniger Wochen zwei Jungs küsste, war sie gleich die Dorfschlampe – bei den Jungs war es natürlich das Gegenteil und sie waren die Helden. Ganz klassisch also.

Ich habe mich noch gefragt, was alle so toll daran finden, weil nichts passierte

Aber zurück zum Orgasmus: Wir lagen zusammen unten in einem Hochbett und die Decke war über uns ausgebreitet. Es war nachts und drum herum waren noch anderen Jugendliche – keine Ahnung, ob sie schliefen oder wach waren, jedenfalls war es verboten, da Jungs und Mädchen ja nicht zusammen in einem Zimmer übernachten durften. Das machte die Situation natürlich gleich etwas aufregender. 😉 Jedenfalls kann ich mich erinnern, dass mein Freund mit den Fingern meine Vulva berührte und ich habe mich noch gefragt, was alle so toll daran finden, weil nichts passierte. Bis ich plötzlich dieses Kribbeln spürte und davon total überrascht war. Ich glaube nicht, dass ich komplett zum Orgasmus kam, also zu einer Entladung. Es waren ja andere Leute im Raum und das war mir zu heikel, eventuell erwischt zu werden. Es war aber ein komplettes Erweckungserlebnis. 😊 Was er dabei genau gemacht hat und wie er mich berührt hat, weiß ich gar nicht – ich wusste ja selber nicht, wie ich mich berühren soll. Ich denke, er hat einfach ausprobiert – wir waren beide noch „Jungfrau“ zu der Zeit und fanden es einfach spannend und aufregend, alles zu entdecken.

Guten Sex habe ich davon abhängig gemacht, ob ich zum Orgasmus komme

Sex und Orgasmus waren für mich lange Zeit untrennbar miteinander verbunden, genauso wie nur Penetration für mich „richtiger“ Sex war. Und gab es keinen Orgasmus, war ich zwar auch nicht mega enttäuscht, aber es „fehlte“ irgendwie etwas. Guten Sex habe ich davon abhängig gemacht, ob ich zum Orgasmus komme und habe, zumindest innerlich, den Mann dafür abgewertet, wenn es nicht gut klappte – musste dann wohl an ihm liegen. Ich habe selber kaum Verantwortung für meine Sexualität übernommen und oft das Meiste dem Mann überlassen. Ich war/bin recht "faul” im Bett und fantasielos. 

Ich habe den Eindruck, dass Männer total happy sind, wenn es der Frau im Bett gut geht

Ich hatte meistens Glück bei der Männerwahl und einige fantasievolle Liebhaber. Ich kann sehr einfach kommen und meine Lust offen zeigen - davon waren die meisten immer total begeistert. Ich habe den Eindruck, dass Männer total happy sind, wenn es der Frau im Bett gut geht und dass ihnen der Orgasmus der Frau wichtiger ist als der eigene. Ich würde mich selber dabei eher als der egoistische Part bezeichnen, weil ich mich gerne verwöhnen lasse. 

Es war also eher eine Kopfgeilheit als eine Körpergeilheit

Einen Orgasmus vorgetäuscht habe ich bisher nur ein einziges Mal, weil ich gerne wollte, dass er sich gut fühlt und es nicht an seinem sexuellen Selbstbewusstsein kratzt. Danach habe ich mich total doof gefühlt und es seither auch nicht wieder gemacht. Im Endeffekt bekomme ich dadurch nicht, was ich will und ich bin auch nicht ehrlich zu dem Mann. 

Ich muss zugeben, dass ich lange Zeit beim Sex sehr auf das Ego des Mannes fixiert war. Irgendwie weiß man ja als Frau so aus Filmen und Pornos auf was Männer (angeblich) stehen und dieses Klischee habe ich schon teils häufig bedient. Ich habe Sex so gemacht, wie ich dachte, dass Männer es geil finden, also z.B. übertrieben laut gestöhnt und den Namen des Mannes gesagt - ohje wie peinlich, schäme mich gerade während ich das schreibe. Einerseits dachte ich, ich bin total selbstbestimmt und egoistisch, aber meine Vorstellungen, die ich von Sex hatte, waren schon sehr von der männlichen Sichtweise geprägt - und das, obwohl ich erst super spät mit über 30 meinen ersten Porno geschaut habe.

Ich habe mich selbst während dem Sex eher als Objekt gesehen und von außen betrachtet – also weniger in mich und meinen Körper hineingespürt, sondern mich kopfmäßig daran aufgegeilt, dass er mich geil findet. Es war also eher eine Kopfgeilheit als eine Körpergeilheit. Der Unterschied ist mir erst klar geworden, seitdem ich mich intensiver mit meiner Sexualität beschäftige. Unsere Gesellschaft ist so verkopft und das zeigt sich natürlich auch im Sex. Ich bin froh, dass mir das jetzt bewusster ist und dem gegensteuern kann. Ich versuche jetzt, Bilder wegzulassen. Statt ins Kopfkino zu gehen spüren, wo und wie fühlt sich das an. Weniger die Genitalien nur als ein Sexualorgan, sondern prinzipiell als Organ zu sehen und nicht automatisch nur sexuell zu sehen. Ich habe auch einen Kristalldildo und ein Yoni Ei, die ich jedoch beide nicht so viel benutzt habe. Das Yoni Ei soll ja taube Stellen wieder empfindsamer machen können und die neuronalen Verbindungen stärken. Ich praktiziere häufiger die tantrische Atmung, bei der ich mir vorstelle, wie ich die Energie vom Damm über den Rücken zum Kopf hochatme und dann über den Vorderkörper zurück nach unten zur Vagina, ohne dabei gleich die Energie zu verlieren. Dadurch kann ich üben, die Sexualenergie nicht gleich als Orgasmus rauszuschießen, sondern auch in andere Körperteile außerhalb des Beckens zu verteilen. Früher habe ich das nämlich nur im Becken gespürt und jetzt auch in den Beinen und Füßen. 

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“Manchmal fühlt es sich an als wäre mein Körper der Feind” Sofia, 38

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“Ich sage ihm danach, was ich toll fand, was sich gut anfühlte” Kim, 46