WISSEN💡Keine Erektion, kein erfüllender Sex? Ein Leitfaden für Partnerinnen von Männern mit erektiler Dysfunktion
Von allen Seiten wird uns beigebracht, wie Sex "aussehen" soll. Ob durch Pornos oder romantische Komödien: Penetration steht im Mittelpunkt. Sex = Penis-in-Vagina. Alles ohne Penetration wird oft als "Vorspiel" abgetan. Aber das „Drumherum“ ist ebenso Sex – und für viele Frauen sogar befriedigender als der penetrative Teil.
Da diese Vorstellungen so tief in uns verankert sind, kann es für heterosexuelle Paare sehr belastend sein, wenn der Mann keine Erektion bekommt. Viele denken, dass es so sein muss. Eine erektile Dysfunktion (ED), also eine Erektionsstörung, ist dann gegeben, wenn es die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl des Mannes beeinträchtigt. Die Gründe für ED sind vielfältig. In diesem Artikel wollen wir das Thema aus der Perspektive der Partnerin verständlicher machen und dir zeigen, wie du deinen Partner unterstützen kannst.
Die gute Nachricht: Für erfüllenden Sex braucht es keine Erektion! Das ist jedoch leichter gesagt als gefühlt, weil die festgefahrenen Vorstellungen von „wie Sex zu sein hat“ oft schwer loszulassen sind. Ein Blick auf die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von ED kann dabei helfen.
Häufige Ursachen für Erektionsstörungen
Erektionsstörungen sind nicht selten. Die Häufigkeit erektiler Dysfunktionen nimmt mit dem Alter zu: Unter den 40- bis 49-Jährigen ist knapp jeder zehnte Mann betroffen, unter den 60- bis 69-Jährigen bereits jeder dritte. Erektionsstörungen können verschiedene Ursachen haben – sowohl körperliche als auch psychische:
Physische Faktoren: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht beeinträchtigen die Durchblutung des Penis. Auch ein niedriger Testosteronspiegel kann die Erektion beeinflussen.
Psychische Faktoren: Leistungsdruck, Ängste, Stress und Depressionen sind häufige psychische Auslöser. Auch Beziehungsprobleme oder traumatische Erlebnisse können eine Rolle spielen.
Lebensstil: Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum oder Bewegungsmangel tragen ebenfalls zu einer erektilen Dysfunktion bei.
Was kommt bei dir an?
Wenn dein Partner mit Erektionsproblemen kämpft, löst das vielleicht Verwirrung, Frustration oder Unsicherheit bei dir aus. Gedanken wie: „Bin ich nicht mehr attraktiv?“ oder „Liebt er mich nicht mehr?“ sind dabei völlig normal.
Diese emotionalen Reaktionen sind verständlich, denn oft wird die sexuelle Verbindung als Ausdruck des gegenseitigen Begehrens gesehen. Trotzdem solltest du wissen: In den meisten Fällen hat die ED nichts mit dir zu tun.
Wenn du deine Enttäuschung oder Frustration, etwa durch Sätze wie „Schon wieder nicht?“ oder durch andere Signale ausdrückst, könnte das den Druck auf deinen Partner noch erhöhen.
Was passiert auf der Seite deines Partners?
Für Männer kann eine erektile Dysfunktion ein massiver emotionaler Stressfaktor sein. Viele empfinden Versagensängste oder Scham, wenn sie ihre Erektion nicht halten können. Das führt oft zu einem Teufelskreis: Je größer der Druck, desto schwieriger wird es, eine Erektion zu bekommen.
Fakt am Rande: Dies hat mit dem sogenannten Fight-or-Flight-System (Sympathikus) zu tun, das bei Stress aktiviert wird. Für sexuelle Aktivität muss jedoch der Parasympathikus – also das Entspannungssystem – aktiv sein. Stress verstärkt also die ED.
Männer mit ED fühlen sich vielleicht minderwertig oder haben Angst, die Beziehung könnte darunter leiden. Manche ziehen sich emotional zurück, um unangenehme Situationen zu vermeiden.
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Was kannst du tun? Schritte zur Lösung
Die gute Nachricht: Es gibt viele Möglichkeiten, mit ED umzugehen. Der erste Schritt sollte immer das Gespräch sein.
Redet darüber: ED ist ein sensibles Thema, das für beide belastend sein kann. Geduld und Einfühlungsvermögen sind hier entscheidend. Versucht, den Druck rauszunehmen, indem ihr offen darüber sprecht, dass erfüllender Sex auch ohne Penetration möglich ist. Ganz konkret für dich:
Zeige Mitgefühl, aber kein Mitleid.
Spiele das Problem nicht herunter („Ist doch gar nicht so schlimm“).
Biete dein Ohr an, ohne es zu erzwingen, dass er sich mitteilt.
Sag deinem Partner, was dir an ihm und dem Sex mit ihm besonders gefällt.
Sprich über deine eigenen Sorgen und Zweifel.
Ärztliche Abklärung: Ein Besuch beim Urologen kann helfen, körperliche Ursachen der ED zu ermitteln, wie Durchblutungsstörungen oder Testosteronmangel. Manchmal steckt eine behandlungsbedürftige Erkrankung dahinter.
Psychologische Unterstützung: Wenn psychische Faktoren eine Rolle spielen, kann eine Sexualtherapie sehr hilfreich sein. Medikamente wie Viagra können unterstützend wirken, sollten aber als Teil einer umfassenden Behandlung eingesetzt werden, die auch die emotionalen und psychischen Aspekte berücksichtigt. Auch für dich kann es hilfreich sein, professionelle Unterstützung von einem Sexualtherapeuten oder einer Sexualtherapeutin in Anspruch zu nehmen, wenn Unsicherheiten oder Spannungen die Beziehung belasten.
Intimität neu definieren und erleben: Egal, was die Ursache der ED ist, sie wird nicht über Nacht verschwinden. Deshalb ist es wichtig, sie als Teil eurer Sexualität zu akzeptieren. Nehmt euch Zeit für eure Intimität und fokussiert nicht auf ein Ergebnis wie ein Orgasmus oder eine Erektion. Der Weg ist das Ziel. Was bedeutet Sex für dich? Was gefällt dir daran? Gibt es Wege, diese Nähe auf andere Art und Weise neu zu entdecken – Kuscheln, Massagen oder Oralsex? Sex muss nicht immer Penetration beinhalten. Und für Penetration ist auch nicht immer ein Penis nötig.
Erektile Dysfunktion ist eine Herausforderung, die viele Paare betrifft, aber sie bedeutet nicht das Ende eines erfüllten Liebeslebens. Durch offene Kommunikation, medizinische und psychologische Unterstützung und die Bereitschaft, neue Formen der Intimität zu entdecken, könnt ihr als Paar gestärkt aus dieser Situation hervorgehen. Wichtig ist: Eine Erektion ist keine Voraussetzung für erfüllenden Sex. Liebe und Nähe gehen über den physischen Akt hinaus.
Quellen
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