“Über 20 Jahren mit demselben Mann” Katja, 46
Eigentlich habe ich mir bisher nie Gedanken darüber gemacht bzw hinterfragt warum ich in einer monogamen, heterosexuellen Beziehung lebe. Und das nun seit über 20 Jahren mit demselben Mann. Das machte man halt so. Das haben meine Eltern, deren Freunde, mein ganzes schwäbisches Kleinstadt-Umfeld mir so vorgelebt. Aber ich bin auch sehr glücklich damit. Und denke, dass es für mich genau die richtige und passende Beziehungsform ist. Warum? Weil mir nichts fehlt. Weil ich mit anderen Menschen - Frauen wie Männern - enge, vertrauensvolle, aber nicht-sexuelle Beziehungen eingehen kann und mir der körperliche Aspekt in diesen Beziehungen auch nicht fehlt. Weil ich die enge Verbundenheit mit meinem Mann sehr schätze, weil wir miteinander wachsen können, weil Reibung und Konflikt samt Verständnis und Versöhnung gut tun und weil es mir auch in meiner Langzeitbeziehung nicht langweilig wird - auch sexuell nicht.
Das gute Gefühl kam vor allem durch die Bestätigung der gelungenen Eroberung
Ausgetobt habe ich mich vor meiner Ehe: One-Night-Stands, Freundschaft Plus, Affären, eine offene Beziehung mit zwei männlichen Partnern gleichzeitig während meines Studiums in Frankreich … spannend und erregend fand ich daran vor allem das Flirten und Erobern. Der Sex war manchmal toll, häufig aber eher mau. Richtig überragend war er nie. Dazu war er für mich zu kurz, zu schnell, zu hitzig - der Kitzel kam durch das Unbekannte, das Nicht-Wissen worauf genau ich mich einlasse. Das gute Gefühl kam vor allem durch die Bestätigung der gelungenen Eroberung und dadurch, dass ich den Männer Spaß bereiten konnte. Meine eigenen Bedürfnisse während des Sexes habe ich da wohl immer hinten angestellt. Ich hatte meinen Kick ja schon davor durch die erfolgreiche Jagd.
Der Sex hat sich über die Jahre sehr verändert.
Der Sex hat sich über die Jahre sehr verändert. Auch eine Langzeitbeziehung fängt ja mal an und da war auch der Sex mit meinem jetzigen Mann aufregend durch das Unbekannte und das Verliebtsein. Wir sind immer und immer wieder über uns hergefallen, um den Körper des anderen zu erkunden und miteinander zu verschmelzen. Der Sex war häufig ungestüm, fordernd, hitzig, schnell. Aber es gab auch Momente des vorsichtigen Kennenlernens durch sanfte, innige Berührungen und vor allem Küsse. Mit der Zeit wurde aus Verliebtsein Liebe und aus dem Kitzel des Unbekannten wurde eine Lust aufeinander, die durch tiefes Vertrauen entsteht.
Jetzt genieße ich Sex ganz anders. Ich liebe es stundenlang (wahrscheinlich etwas übertrieben, aber 60-90 Minuten dauert es schon meist) den Körper meines Mannes zu erkunden, zu streicheln, zu küssen, zu liebkosen. Und zwar gerade nicht nur die klassischen erogenen Zonen, sondern jeden Zentimeter Haut. Und natürlich auch selber genauso von meinem Mann erkundet, gestreichelt, geküsst, liebkost zu werden. Dadurch baut sich die Erregung langsam und in Wellen auf. Manchmal haben wir einen mehr oder weniger gemeinsamen Orgasmus gegen Ende unseres Liebesaktes. Manchmal habe ich mehrere Orgasmen. Manchmal gar keinen - aber auch das stört mich nicht. Oder sagen wir besser nicht mehr. Denn vor nicht allzu langer Zeit dachte ich noch, dass ich unnormal bin, dass mit mir was falsch ist, wenn ich nicht schnell und immer einen Orgasmus beim Geschlechtsverkehr bekomme. Dieser Leistungsdruck hat ein Gedankenkarussell bei mir ausgelöst und mich komplett aus dem Empfinden, Spüren und Genießen beim Sex gerissen. Zu den Gedanken nicht auf Knopfdruck sofort kommen zu können, kamen dann noch Gedanken der Unsicherheit - bin ich schön genug für Sex, was denkt mein Mann über meine Fettpölsterchen, die auch noch komische Geräusche beim Sex verursachen - und Gedanken hinsichtlich nicht erledigter To Dos, die viel mit der Familie zu tun hatten. So viele Stimmungs- und Lustkiller.
“Sex hat man. Man redet nicht darüber.”
Nach der Geburt meiner zwei Kinder hatte ich immer und immer weniger Lust auf Sex aka Geschlechtsverkehr. Ich dachte, dass Sex = Geschlechtsverkehr zu sein hat, um guter und erfüllender Sex für den Mann zu sein. Über all meine Gedanken und Probleme habe ich nicht mit meinem Mann gesprochen. Wozu auch? “Sex hat man. Man redet nicht darüber.” - dachte ich. Mit diesem Glaubenssatz bin ich aufgewachsen.
Das war nicht nur für mich, sondern auch für meinen Mann eine sehr frustrierende Zeit. Er verstand nicht, warum ich plötzlich keine Lust mehr hatte. Ich hatte Angst, dass er sich deswegen von mir trennen könnte.
Im Rückblick ärgere ich mich so sehr, dass ich nicht früher den Mut hatte, mit ihm darüber zu sprechen. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass es nicht an ihm liegt, dass ich ihn nach wie vor attraktiv finde und liebe, aber keine Lust habe mich zu spüren, loszulassen, herauszufinden was sich gut für mich anfühlt.
Den Mut zur Kommunikation und die Lust auf Sex habe ich durch Wissen und Austausch erhalten. Wissen über den weiblichen Körper, die Anatomie, den klitoralen Orgasmus, … und ehrlichen, offenen Erfahrungsaustausch mit anderen Frauen im Online Frauentreff von being female.
Sex fand statt, weil ich meine fruchtbaren Tage hatte
Als wir nach 6 Jahren des Zusammenseins Kinder bekommen wollten, war - aufgrund zuerst ausbleibender Schwangerschaft - Sex leider häufig weniger sinnlich und romantisch. Sex fand statt, weil ich meine fruchtbaren Tage hatte und nicht unbedingt weil wir gerade Lust darauf hatten. Nach den Schwangerschaften fühlte ich mich nicht mehr wohl in meinem Körper und hatte häufig Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Auf die Idee, Gleitmittel zu verwenden, kam ich leider nicht. Das hat dann irgendwann mein Mann einfach gekauft. Zuerst fand ich es beschämend - wenn ich das brauche, stimmt ja irgendwas nicht mit mir, dachte ich. Wieso hat mir in meinen jungen Jahren nie jemand gesagt, dass frau auch Lust auf Sex haben und erregt sein kann, wenn sie nicht feucht ist?!
Lust auf jemand anderen
Natürlich hatte ich auch mal Lust auf jemanden anderen während meiner immer noch andauernden super langen Langzeitbeziehung. Mehr jedoch am Anfang der Beziehung als jetzt. Aus Erfahrung wusste ich aber, dass es die Lust auf die Jagd, der Kitzel des Flirtens ist. Vor allem beim Tanzen. Und dabei ist es dann auch geblieben. Mein Mann weiß, dass ich Spaß am Flirten habe und das beim Ausgehen auch manchmal mache. Inzwischen hat er kein Problem mehr damit. Das war anfänglich sicherlich schwieriger für ihn. Verstanden hat er auch nicht, dass ich nicht eifersüchtig bin. Für ihn klang das wie “du bist mir nicht wichtig”. Das ist aber totaler Quatsch. Er ist mir wahnsinnig wichtig und ich möchte ihn als Partner nicht verlieren. Aber gerade deshalb möchte ich ihn nicht einengen und einschränken. Früher sagte ich ihm auch, dass ich kein Problem damit hätte, wenn er mal einen ONS hätte, der sich aus dem Flirten heraus auf Parties ergibt. Er fand das jedoch so abstrus und unvorstellbar, dass das Thema schnell wieder fallen gelassen wurde. Er selbst hat nie darüber gesprochen jemand anderen attraktiv zu finden oder Lust auf jemanden anderen zu haben. Ich habe ihn aber auch nie direkt darauf angesprochen, weiß also nicht, ob er das Angebot jemals wahrgenommen hat. Hätte er mir so ein Angebot damals gemacht, hätte ich es vielleicht auch mal wahrgenommen. Dann wäre vielleicht aus einem Party-Flirt auch eine heiße Nacht mit Sex geworden. Allerdings erinnere ich mich an niemanden Konkreten, wo ich mir das gewünscht hätte.
Ein Mann. Mein Mann reicht mir da vollkommen.
Ich weiß nicht, ob ich das Angebot heute nochmal aussprechen würde. Irgendwie scheint es mir, dass wir gerade einander genug sind und es auch nicht mehr so viele Möglichkeiten gibt, auf denen sich etwas ergeben könnte. Aktuell ist der Reiz des Fremden gar kein Thema für mich. Ich genieße es an mir selber, an meinem Mann und in unserer gemeinsamen Sexualität immer wieder neue Facetten zu entdecken und auch mit ihm immer wieder im Alltag zu flirten. Da braucht es den externen Kitzel nicht. Ein Mann. Mein Mann reicht mir da vollkommen. Vielleicht liegt es daran, dass Sex bei uns nie zur “Routine” verkommen ist. So wie wir uns ständig weiter entwickeln, immer wieder neue berufliche Herausforderung haben, Neues aufbauen, neue Menschen kennenlernen, entwickelt sich auch unsere körperlichen Begegnungen ständig weiter. Vielleicht ist unsere Lust und Neugierde im Leben auch der Treiber für die Lust aufeinander.