“Mein ganzes Leben lang gab es nur diesen einen Plan, Mutter zu werden” Sabine, 48
Ich bin mit der Gewissheit aufgewachsen, irgendwann mal Mama zu sein. Einfach weil ich eine Frau bin und das in der Gesellschaft, in der ich aufwuchs, nun mal der Lebensentwurf einer Frau war. Es gab keine Alternative und ich wollte auch keine. Lange Zeit schlummerte dieser Wunsch in mir, doch als ich mit 29 heiratete, wurden meine Pläne konkreter. Meinen Partner kannte ich seit einem Jahr und der Wunsch nach einer Familie war einer der Gründe, warum wir die Ehe miteinander eingingen. Bereits kurz nach unserer Hochzeit hörten wir auf zu verhüten. Zu Beginn war ich noch sehr euphorisch und freute mich auf das, was kommen würde. Nachdem die Monate aber vergingen, ohne dass ich schwanger wurde, schlug meine Stimmung schnell um. Nicht nur die eigenen Misserfolge belasteten mich, auch was wir durch unser Umfeld mitbekamen. Freundinnen und Bekannte wurden schwanger, bekamen Babys, und erzählten von ihrem Glück.
Mein Kinderwunsch hatte sich zu dem Zeitpunkt zu etwas Übermächtigen entwickelt
Meist traute ich mich nicht darüber zu sprechen, dass wir Schwierigkeiten hatten und wenn ich es tat, wurden meine Sorgen oft nicht ernst genommen. “Ach, du bist doch noch jung", "Das wird schon noch”. Mein Kinderwunsch hatte sich zu dem Zeitpunkt zu etwas Übermächtigen entwickelt. Es war nicht mehr nur ein Wunsch, sondern fühlte sich an wie ein starkes körperliches Verlangen, etwas das meinem Körper vorenthalten wird. Da ich das Gefühl hatte, von niemandem verstanden zu werden, meldete ich mich bei Foren im Internet an. Ich wollte Frauen finden, die ähnliches erlebt hatten und mich unterstützen konnten. Ich fing auch an, mir verschiedene Ratschläge einzuholen, die ich genau befolgte. Ich überwachte meinen Zyklus streng und ermittelte anhand von Temperaturschwankungen meine fruchtbaren Tage. Und mein Mann, der musste dann ran.
Sex wurde dadurch zu einem mechanischen Akt ohne Gefühl und ohne Befriedigung
Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie unser Sexleben aussah, bevor wir versucht haben, schwanger zu werden. Für mich spielte Sex zu diesem Zeitpunkt aber keine große Rolle. Ich wurde in dem Glauben erzogen, dass Sex etwas ist, das Männer eben brauchen. Es ging mir nicht groß um Erfüllung oder Intimität und auch Orgasmen hatte ich nur selten. Sex sollte einen Zweck erfüllen und meinen Partner befriedigen. Als wir versuchten, schwanger zu werden, erfüllte es selbst diesen Zweck irgendwann nicht mehr. Wir wurden nur noch intim miteinander mit dem Ziel, ein Kind zu zeugen. Sex wurde dadurch zu einem mechanischen Akt ohne Gefühl und ohne Befriedigung. Heute denke ich mir, es ist kein Wunder, dass wir uns irgendwann getrennt haben. Denn sowas hält keine Beziehung aus.
Ich fühlte mich zunehmend unwohl in meinem Körper
Nach zwei Jahren ohne Erfolg, entschieden wir uns in eine Kinderwunschklinik zu gehen. Von Hormonbehandlung, über künstliche Befruchtung machten wir über fünf Jahre alles mit.
Ohne Erfolg. Die Hormonspritzen, die ich mir während dieser Zeit setzte, hatten den skurrilen Nebeneffekt, dass sich mein Körper veränderte und auch mein Bauch größer wurde. Hin und wieder kam es dazu, dass ich durch die Wassereinlagerungen von anderen gefragt wurde, in welchem Monat ich denn sei. Ich fühlte mich zunehmend unwohl in meinem Körper und versuchte ihn in besonders weiter und dunkler Kleidung zu verstecken. In meiner Weiblichkeit erkaltete ich immer weiter. Nicht nur in der Beziehung zu meinem Mann, in der ich jegliche Art von Zärtlichkeit und Nähe abblockte, sondern auch in meinem Wesen als Frau. Ich war mir sicher, dass ich mich nie wieder schön, attraktiv und als sexuelles Wesen empfinden würde.
Nachdem wir es in der Kinderwunschklinik etwa fünf Jahre versucht hatten, lag unsere Beziehung in Trümmern
In meinen Bemühungen, Mutter zu werden, stand ich vor dem Nichts. Sonst wurde mir immer vermittelt, dass man mit ausreichend Fleiß und Disziplin alles erreichen kann und hier war ich so ohnmächtig. Auch in der Kinderwunschklinik gab es wenig Unterstützung dafür, was die Jahre der Misserfolge mit uns und unserer Beziehung anrichteten. Ich erinnere mich, dass wir einmal die Möglichkeit hatten eine psychologische Beratung wahrzunehmen. Eine Stunde saßen mein Mann und ich bei dieser Frau. Sie hörte uns zu, während wir beide berichteten und ganz fürchterlich weinten.
Nachdem wir es in der Kinderwunschklinik etwa fünf Jahre versucht hatten, lag unsere Beziehung in Trümmern. Uns beiden war klar, dass wir nun erst mal an uns als Paar arbeiten mussten, bevor es mit der Familienplanung weitergehen konnte. Im Nachhinein betrachtet, war es wahrscheinlich gut, dass wir zu diesem Zeitpunkt kein Kind bekamen. Unsere Beziehung war zu zerrüttet, um den Stress und die Verantwortung eines Kindes zu bewältigen. Zwei Jahre lebten wir danach noch so nebeneinander her. Vordergründig, um an unserer Beziehung zu arbeiten, aber eigentlich machten wir beide unser eigenes Ding. Es gab keinerlei Intimität und Sex auch nicht. Die Jahre der Misserfolge hatten so lange an der Substanz unserer Partnerschaft genagt, bis einfach nichts mehr davon übrig war.
Ich fand zu dieser Zeit viel Kraft im Yoga
Nachdem wir uns trennten, stand ich vor dem Nichts. Mein ganzes Leben lang gab es nur diesen einen Plan, Mutter zu werden. Nun musste ich mir darüber Gedanken machen, was ich war, wenn ich keine Mama sein konnte. Ich fand zu dieser Zeit viel Kraft im Yoga. Ich praktizierte jeden Tag und merkte zunehmend, wie mein Körper wieder meiner wurde. Auch wenn ich immer viel Sport gemacht habe, konnten sich erst durch Yoga die Blockaden aus den vorherigen Jahren lösen. Auch meine Wassereinlagerungen flossen ab. Es hat kein halbes Jahr gedauert und ich tauschte meine dunklen weiten Klamotten durch schöne bunte Kleider aus. Ich fühlte mich auf einmal wieder so wohl in meiner Haut und das wollte ich zeigen. Über Yoga lernte ich außerdem zum ersten Mal Menschen kennen, die sich über andere Dinge Gedanken machten, als ich das gewohnt war. Es fühlte sich an, als ob sich die Türen zu neuen Möglichkeiten öffneten. Ich merkte, dass ich durch meine eigene Transformation etwas zu geben hatte, und begann, eine Ausbildung als Yogalehrerin zu absolvieren. Die Erfüllung, die ich in einer Familie gesucht hatte, fand ich jetzt im Yoga.
Es ging mir dabei nie besonders um die Befriedigung von körperlichen Bedürfnissen oder um das Erreichen eines Orgasmus
Eineinhalb Jahre nach der Trennung lernte ich jemanden Neuen kennen. Er hatte bereits Kinder, und wir hatten keinen gemeinsamen Kinderwunsch. Beim Sex fühlte ich mich daher nicht getrieben von einem Ziel. Wenn wir intim wurden, konzentrierten wir uns nur auf "uns". Es ging mir dabei nie besonders um die Befriedigung von körperlichen Bedürfnissen oder um das Erreichen eines Orgasmus. Viel eher merkte ich, wie einzigartig und exklusiv dieser Mikrokosmos ist, den man beim Sex mit seinem Partner erschafft. Trotzdem kam ich mit ihm viel häufiger zum Höhepunkt. Ein Orgasmus war nun eher die Regel als die Ausnahme, ohne dass ich mich wie bei vorherigen Partnern selbst darum kümmern musste. Auch die Sensibilität, die ich beim Yoga für meinen Körper entwickelte, half mir dabei, eine neue Sichtweise auf Sexualität zu entwickeln. Ich wusste nun genau, was ich wollte und was nicht und machte mir viel weniger Gedanken darüber, wie ich gerade wohl aussah. Ich konnte nun ganz bei mir sein und die Intimität mit meinem Partner genießen.
Es zeigt mir auch, wie froh ich darüber sein kann, die Freiheit zu haben, mein Leben ganz nach meinen Wünschen zu gestalten
Auch wenn ich heute nicht mehr so darauf fokussiert bin, half Yoga mir damals dabei, einen alternativen Lebensentwurf zu entwickeln und dafür bin ich sehr dankbar. Es zeigt mir auch, wie froh ich darüber sein kann, die Freiheit zu haben, mein Leben ganz nach meinen Wünschen zu gestalten. Wenn ich Mutter geworden wäre, wäre das alles so nicht möglich gewesen. Ich schätze es sehr, selbstbestimmt planen und handeln zu können und bin zufrieden mit dem Leben, das ich mir für mich aufgebaut habe.