“Meine Definition von gutem Sex hat sich radikal geändert” Sofia, 38

Ich habe meine Sexualität zuvor immer als sehr männlich empfunden, wirklich so empfunden, auch haltlos und kontrolllos - “wenn ich einmal anfange, kann ich nicht aufhören”-mäßig. Ich bin dann “on” und muss durchrattern. Ich dachte, dass es verschiedene Typen von Menschen gibt und diese einen Typ von Sex ausübten. Ich war eben der männliche Typ und irgendwie habe ich das männlich-kodierte Sexverhalten irgendwie als “besser” empfunden. 

Orgasmus war für mich die einfachste Art, für mich zu “quantifizieren”, dass ich gut im Bett bin. 

Ich habe von Männern viel positives Feedback bekommen, dass es so leicht ist, mich zum “Kommen” zu bringen. Das hat mich auf eine gewisse Art erleichtert, was auch immer das heißt. Der Sex war daher immer sehr Orgasmus-orientiert. 

Orgasmus war für mich die einfachste Art, für mich zu “quantifizieren”, dass ich gut im Bett bin. Das funktionierte gut, das machte den anderen auch glücklich. Dadurch hat mir der Orgasmus eine gewisse Orientierungshilfe gegeben und gleichzeitig fühlte sich diese Fixierung im Laufe der Zeit wie ein Manko an. Es war immer ein Durchpowern zum Orgasmus, es war nicht spielerisch. Ich wusste, wenn ich die zwei Knöpfe drücke, komme ich. Dadurch war weniger Explorieren dabei. Durch diese Fixierung musste ich nicht spielen, mich nicht ausweiten, nicht über meine Grenzen gehen - einfach schnurstracks an ein Ziel zu kommen und sicher zu sein, ich hab’s jetzt gut und richtig gemacht.

Ich konnte die Situation nicht wirklich kontrollieren und war nicht Herrin meiner eigenen Sexualität.

Generell kann ich sehr leicht zum Orgasmus kommen, auch durch Penetration. Wenn das mal nicht klappt, dann auf jeden Fall, wenn jemand meine Brüste berührt. Oder ich stimuliere meine Klitoris und komme dann so. Ich glaube, ich bin immer schon so sehr erregt, bevor es losging mit Sex, dass Sex letztendlich “nur noch” die Auflösung dieser Erregung war. Ich fand den Kontrollverlust sehr geil aber irgendwie fühlte es sich nie empowernd an. Ich war so “drin”, dass ich gar nicht aufhören konnte, selbst wenn ich wollte. Ich konnte die Situation nicht wirklich kontrollieren und war nicht Herrin meiner eigenen Sexualität. Ein wenig wie “Augen zu und durch”. 

Das half, andere Aspekte auszublenden, sowas wie die Scham über meinen Körper oder andere Dinge, die mir im Kopf rumgingen. Es fühlte sich gut an, wenn man mit dem richtigen Menschen zusammen war, aber nicht empowernd. Ich dachte, durch den Kontrollverlust sei ich auch im Moment, aber eigentlich war ich es nicht, es war sehr zielgerichtet auf meine Genitalien und einen Orgasmus.

Ich empfand es durchaus als “guten” Sex. In einer längeren Partnerschaft war es natürlich sehr praktisch, schnell zu kommen. Durch mein Kind blieb wenig Zeit und es war ganz toll, dass man es in 10 Minuten abhandeln konnte ;-)

Ich habe das Gefühl, dass Männer Oralsex als Vorarbeit oder Pflicht sehen. 

Meine Orgasmen waren sehr beschränkt auf Kopf-Mund-Genitalien. Die sexuelle Energie baute sich auf und dann kam es durch den Orgasmus zur schlagartigen Freisetzung der Energie. Danach zitterte ich am ganzen Körper und brauche erstmal so fünf Minuten um wieder “runter” zu kommen. Die Position ist relativ egal, ich komme eigentlich immer, wenn Penetration mit Bruststimulation verbunden wird aber am wichtigsten ist die Energie um mich herum. 

Oralsex und Orgasmen, die sich daraus ergeben finde ich zwar schön und schätze die Anstrengung aber meist ist es nicht das Highlight. Ein Orgasmus durch Oralsex empfinde ich dadurch anders, dass ich eben der absolute Fokus des Geschehens bin, wie ein Geschenk an mich. Ich habe das Gefühl, dass Männer Oralsex als Vorarbeit oder Pflicht sehen. Es fühlt sich dadurch für mich fast wie “Bezahlung” an, weil Männer das Gefühl haben, mir etwas zu schulden: “Danke, dass du mit mir schläfst, ich befriedige dich dafür mit meiner Zunge.” Das ist vielleicht gar nicht so aber deshalb mag ich Oralsex gar nicht besonders gerne. Ich mag Sex und will nicht das Gefühl haben, jemandem einen Gefallen zu tun. Für mich fühlt es sich falsch an und macht mich nervös. Ich glaube, dass Männer Oralsex mehr aus Respekt geben und nicht aus der Freude daran. Außerdem können es in meiner Erfahrung die meisten Männer nicht sehr gut. Erst wenige, mit denen ich Sex hatte, haben es wirklich gut beherrscht ;-) Es wird oft eher programmmäßig runter gerattert.

Irgendwann habe ich mich gefragt, woran das liegt und inwiefern diese Orgasmus-Fixierung etwas mit der Qualität meines Sexes tut. 

Wenn ich zu stark “im Kopf” bin, dann habe ich allerdings Schwierigkeiten zu kommen. Ich habe mal mit einem Mann geschlafen, den ich nicht kannte und dessen Haut ich nicht mochte. Die Haut fühlte sich kalt und feucht an und ich musste mich richtig stark auf den Sex konzentrieren, um zum Orgasmus kommen zu können. Irgendwie traurig, dass ich trotzdem Sex hatte.

Meist komme ich vor dem Mann und ich finde das auch schön, dass es nacheinander erfolgt. Beim gleichzeitigen Kommen habe ich das Gefühl, nicht ganz bei mir oder bei ihm zu sein. 

Irgendwann habe ich mich gefragt, woran das liegt und inwiefern diese Orgasmus-Fixierung etwas mit der Qualität meines Sexes tut. Mit mehr Erfahrung und Partnern hat sich meine Sexualität sehr geändert. Sex wurde mehr als “möglichst schnell zum Orgasmus zu kommen”. Ich bin dadurch mehr ins Spielen gekommen. Ich habe edging kennengelernt und habe beim Sex meinem Partner gesagt, mich nicht so schnell zum Orgasmus kommen zu lassen.  Das veränderte Sex für mich und auch die Orgsamen, wenn es denn überhaupt zu einem kam, waren viel breiter und involvierten den ganzen Körper. 

Erst durch das Hinauszögern des Orgasmuses auch beim Solosex ist diese Idee gesackt und körperlich geworden. 

Nach einer längeren Partnerschaft und mit Masturbation habe ich die “Arbeit” am Edging wieder aufgegriffen, also den Orgasmus hinausgezögert, so dass Sex eben nicht nur auf den Orgasmus fokusiert war. Das hat super viel mit mir gemacht. Sex ist nicht nur, wenn ein Orgasmus kommt und Lust weitet sich aus auf den gesamten Tag. Es hat viel mit meinem Kopf zu tun. Natürlich ist Sex auch ein Blick und sexuelle Spannung genauso wichtig wie Penetration - aber bis zu einem gewissen Punkt habe ich mich davor selbst nicht ganz ernst genommen. Erst durch das Hinauszögern des Orgasmuses auch beim Solosex ist diese Idee gesackt und körperlich geworden. Also manchmal komme ich auch aber manchmal auch nicht und ich halte die Energie nur, je nachdem auch wie müde ich bin. Jetzt ist es nicht nur eine Idee, dass Sex nicht nur Penetration ist, sondern es wurde wirklich zur Praxis, durch die ich energetisch aufgeladen wurde. Das “Aushalten” von so viel Energie durch das Edging löst bei mir ganz viele Emotionen aus. Ich weine ganz oft bei der Masturbation als so eine Art Entspannung. 

Wenn ich zu stark “im Kopf” bin, dann habe ich allerdings Schwierigkeiten zu kommen. 

Beim Masturbieren kam ich vor dem “edging” eher kurz, flach und punktuell. Der Orgasmus war dann vermehrt lokal im Genitalbereich. Wenn ich den Orgasmus hinauszögere und nicht zum primären Ziel mache, wird der Orgasmus intensiver und breiter. Ohne edging ist es eher wie Pinkeln: erleichternd, aber nichts besonderes ;-) Ein Orgasmus während der Penetration hat meist eine bessere, tiefere und breitere Qualität. 

Sextoys nutze ich nicht, obwohl ich recht viel Geld für Toys ausgegeben habe. So habe ich mir z.B. den Satisfier gekauft, weil er mir mehrfach empfohlen wurde. Aber mir ist das alles viel zu viel Stimulation. Besonders Batterie-betriebenes Spielzeug finde ich super unsexy. Das stört mich nur.

Ich dachte immer, ich hätte guten Sex, aber meine Definition von gutem Sex hat sich radikal geändert. 

Mittlerweile habe ich Sex häufiger ohne Orgasmus als mit, obwohl es mir gelegentlich fast leichter fallen würde zu kommen. Denn dieses wirklich bei mir und meinem Körper sein kann auch unangenehm werden. Ich muss dann nämlich meinen Körper so (unperfekt) akzeptieren wie er ist, um den Sex genießen zu können. Vorher bin ich eher vor meinem Körper zum Orgasmus gerannt. Jetzt mache ich Raum, auch mal unangenehme Gefühle während des Sexes zu akzeptieren, mich auch mal verletzlich werden zu lassen. Durch das Zulassen dieser Verletzlichkeit stelle ich mich meinem Körperbild anstatt immer davor wegzurennen. Ist Sex dadurch besser geworden? Ich dachte immer, ich hätte guten Sex, aber meine Definition von gutem Sex hat sich radikal geändert. Ich habe das Gefühl, ich war vorher eine Analphabetin. Ich bin immer noch Anfängerin und probiere im “safe space” mit mir selbst. Für mich beinhaltet das potentiell so viel Energie und ich frage mich, wie es ist, das mit Partner zu explorieren.

Es ist ein wenig eine Demokratisierung von Sex, ein Aufwerten von allen Formen von Sex, wie wir es erleben. 

Geschlechtsverkehr oder Orgasmus ist nicht Bedingung für sexuelle Energie. Vorher, wenn ich auf der Straße lief und mir jemand in die Augen schaute, war es aufregend. Heute geht es weiter, es ist intensiver und ich würde es als Sex bezeichnen. Es ist einwenig eine Demokratisierung von Sex, ein Aufwerten von allen Formen von Sex, wie wir es erleben. Letztens war ich im Theater und ein Mann saß neben mir mit seiner Partnerin. Mein und sein Arm berührten sich fast und ich empfand diese Energie. Es war ein sehr schönes Gefühl, diese Energie zu spüren in alltäglichen Begegnungen. Oft wertet man diese ab und ich zelebriere diese. Seit Penetration und Orgasmus nicht mehr das non plus ultra meines Sexlebens ist, gewinnen diese Momente voll an Kraft und ich finde das voll schön. 

Natürlich ist Sex mehr als Penetration und irgendwie weiß man das, aber wenn man diese Momente alle als gleichwertige Anteile von Sex sieht, ist das wunderbar.

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“Erst einen Orgasmus - nicht mal sicher, ob es wirklich einer war” Thea, 27

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“Lieber Wandschrank als über Sex sprechen” Julia, 36